Nadja Neuner-Schatz

 Kulturwissenschaftlerin

Meine Forschung

Aktuell: Transforming Wolf Wilderness 

„Transforming Wolf Wilderness (TWW) – Konfliktfeld Wolf in Tirol“ ist als Forschungs- und Bildungsprojekt angelegt und widmet sich den soziokulturellen, historischen und politischen Dimensionen des Widerstands gegen Wölfe in Tirol. Vor dem Hintergrund der EU-Renaturierungsstrategie und des Greendeals, die eine Wiederverwilderung ökologischer Flächen fördern, wird Tirol als Modellregion analysiert, um die Herausforderungen und Potenziale des Zusammenlebens von Menschen und Wölfen zu verstehen. Das Projekt zielt darauf ab, die Akzeptanz und Widerstände gegenüber Wölfen sowie die Umsetzung politischer Maßnahmen auf lokaler Ebene zu erfassen, zu vermitteln und unter enger Beteiligung von Bürger*innen Szenarien einer möglichen Koexistenz zu beleuchten. Für diesen partizipativen Forschungs- und Bildungsprozess, in dem wir die Rückkehr der Wölfe nach Tirol als vielschichtigen, komplexen und kulturellen Prozess begreifen, kooperieren das Fach Empirische Kulturwissenschaft (Nadja Neuner-Schatz) und der Forschungsschwerpunkt Kulturelle Begegnungen - Kulturelle Konflikte (Teresa Millesi) mit zahlreichen außeruniversitären Akteur:innen und Einrichtungen.


Aktuell: Doing (Alpine) Race – humanimalischer Rassismus um 1900 und dessen Aktualisierungen in der Gegenwart.

Um 1900 vermengten sich Vorstellungen von den Alpen als spezifischem Lebensraum mit der Idee menschlicher und tierlicher Rassen. Daraus wurden bis heute wirkmächtige Narrative entwickelt, die die Idee alpiner Rassen in sich tragen. Der empirisch kulturwissenschaftliche Fokus richtet sich in diesem Projekt auf die Gemengelage, aus der diese Wissensbestände hervorgingen und die Praktiken und Diskurse, in denen sie aktualisiert werden. Dieses "doing alpine race" analysiere ich mit einem wissensanthropologischen Zugang in seinen vielfältigen historischen wie gegenwärtigen Bezüglichkeiten.

Dissertation 2025: Tierwohl - Das gute Leben der Tiere, wie wir essen. 

Österreichweit wird seit etwa zehn Jahren für mehr Tierwohl plädiert. Das stellt auch die kleinstrukturierte, oft im Nebenerwerb geführte, Rinderhaltung in Tirol vor die Herausforderung, die Haltungsbedingungen der genutzten Tiere zu verbessern. Gefordert wird unter anderem täglicher Weidegang, Laufstallhaltung und muttergebundene Kälberaufzucht. Das sind Forderungen, die insbesondere für die Rinderbetriebe in Tirol nicht leicht umzusetzen sind, weil diese sich mit örtlichen Gegebenheiten wie historischen Ortskernen und in mehreren Bauphasen errichteten Gebäudekomplexen, kleinteiligen und zerstückelten Wirtschaftsflächen, unterschiedlichen Flächenwidmungen und unzureichender infrastruktureller Erschließung arrangieren müssen. Verbesserungen herbeizuführen, wird so auch zu einer Frage des verfüg- und leistbaren Raumes. Dass sich Rinderbetriebe angesichts dessen vor grundlegend umstrukturierende Herausforderungen gestellt sehen, wurde vor allem durch agrarpolitische Akteur_innen und die Landwirtschaftskammer Tirol intensiv medial thematisiert. Zu beobachten ist, dass auch kleine Agrarbetriebe mit unterschiedlichen Maßnahmen reagieren. Offensichtlich ließ sich die Tierwohlforderung aber auch gut in die gängige Praxis der Rinderhaltung in Tirol integrieren. So finden sich heute – und sie sind mittlerweile zur alltäglichen Selbstverständlichkeit geworden – Tierwohlmilchprodukte aus Tirol in den Supermarktregalen, auf den Frühstückstischen und an den Hotelbuffets. Das macht die Rinderhaltung in Tirol zu einem aus kulturanalytischer Perspektive interessanten und vielleicht besonders prägnanten Beispiel für die Wechselwirkung zwischen Tierwohldiskurs und Tiernutzung. Diese Arbeit fragt danach, wie, von wem, aus welchen Motiven und vor welchem soziokulturellen Hintergrund Tierwohl als Auftrag an die Nutztierhaltung hervorgebracht wurde, und daran anschließend: Welche Lage sich damit für die alpine Rinderhaltung – Fallbeispiel Tirol – aufspannt?
Ausgewertet wurden empirische Daten, die im Zuge von Teilnehmenden Beobachtungen, (auto)ethnographischen Erfahrungen, narrativen Interviews und informellen Gesprächen gesammelt und zur Beschreibung typischer Praktiken mit Informationen aus einem heterogenen Sample prozessgenerierter Daten verdichtet wurden. Insbesondere ein Bestand von 445 österreichischen Pressemeldungen, die einen Zeitraum zwischen 2000 bis 2019 abdecken, bildete die Grundlage für die Diskursanalyse.
Meine Studie zeigt, dass ein öffentliches Reden und Schreiben über Tierwohl in Österreich um 2010 einsetzte. Insgesamt zeichnet den Tierwohldiskurs ein moralisierender Gestus aus: Tierwohl sei eine Frage der persönlichen Haltung (Baumann 2020), aber auch eine dringliche gesellschaftliche Forderung an die Nutztierhaltung. Indes zielt die Tierwohlforderung nicht auf eine strukturelle Lösung. In ihrer anthropozentrischen Ausrichtung entspricht sie dem Nutzenkalkül einer zunächst produktivistisch, dann zunehmend multifunktionell ausgerichteten Agrarwirtschaft und dem globalisierten, hochdifferenzierten und segmentierten Lebensmittelmarkt. Die alpine Rinderhaltung mache ich angesichts dessen als zäh-elastisches Ensemble heterogener Elemente, mit Reiner Keller als eine gerichtete Infrastruktur aus, die seit dem endenden 19. Jahrhundert agrarpolitisch intendiert und durchorganisiert ist und mehrere Liberalisierungsschübe erfuhr. Und angesichts der Tierwohlforderung gelingt es der dispositiven Struktur der alpinen Rinderhaltung offenbar, gemeinhin nachteilig bewertete Bedingungen in Wert zu setzen. Das zeigt die vorliegende Studie anhand einer dichten Beschreibung typischer Praktiken der Rinderhaltung, anhand der Geschichten interviewter Tierhalter_innen und mit der Einordnung der gegenwärtigen Praxis in die historische Entwicklung der alpinen Rinderhaltung in Tirol auf rund 400 Seiten und ergänzt durch ein gründlich recherchiertes und sortiertes Literatur- und Quellenverzeichnis (Manuskriptumfang gesamt: 441 Seiten).
Das Manuskript wurde zur Veröffentlichung in den „Innsbrucker Studien zur Europäischen Ethnologie und Kulturanalyse“ als Band 7 (2026) angenommen und wird derzeit zur gekürzten Drucklegung vorbereitet.
 


Masterarbeit 2016 "Wissen Macht Tracht im Ötztal"

Für meine Masterarbeit beschäftigte ich mich mit der Produktion ethnographischen/volkskundlichen Wissens in der Moderne, das ich anhand des volkskundlichen Wissensbestandes zu Tracht untersuchte. Meine Arbeit Wissen Macht Tracht im Ötztal ist als zweiter Band der Reihe bricolage mongrafien. Innsbrucker Studien zur Europäischen Ethnologie im April 2018 bei IUP erschienen ist. Die Studie analysiert zunächst die historische Genese eines spezifischen, volkskundlichen Wissensbestandes, dem Wissen von „Tracht“ im Ötztal, um dann nach der gegenwärtigen Aktualisierung dieses Wissens im Tun „Tracht“ selbst herstellender Akteur_innen zu fragen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich das Handeln „Tracht“ herstellender Akteur_innen in einem von Macht und Wissen strukturierten Feld situiert. Für dieses Feld der „Trachten“-Praxis und des „Tracht“-Wissens lässt sich beobachten, wie die gegenwärtigen Akteur_innen volkskundliche Wissensstrategien zitieren und wiederholen. Die Analyse und Historisierung dieser Wissensstrategien zeigen die langzeitige Wirkmächtigkeit volkskundlichen Wissens. Zugleich lässt sich am Fallbeispiel des „Tracht“ Selbstherstellens nach Momenten des kulturellen Aushandelns und Wandels fragen.


Lehrforschungsprojekt 2018/19: Was is(s)t Tirol? Sich zu ernähren zwischen globalem Markt und regionaler Lebensmittelproduktion

Im zweisemestrigen Lehrforschungsprojekt "Was is(s)t Tirol? Sich zu ernähren zwischen globalem Markt und regionaler Lebensmittelproduktion", galt unser Interesse den alltäglichen Praktiken des sich Ernährens und den sich damit verbindenden Strategien, Widersprüchen und Argumenten im Umgang mit der gesteigerten Sensibilität für Fragen der Lebensmittelproduktion, deren Distribution und Konsum wie deren Verschwendung. Tirol stellte dabei ein interessantes Untersuchungsfeld dar, da es sowohl regionale, subventioniert-produzierte Lebensmittel, als auch ein übervolles Angebot an global gehandelten Lebensmitteln in der engen Nachbarschaft der Supermarktregale gibt. Wir führten dazu narrative Interviews, werteten diese qualitativ aus und präsentierten die Ergebnisse am 7. Juni 2019 an der Universität Innsbruck sowie online auf unserer Projekthomepage


MiAS 2014-2016: Euregio-Lehrforschungsprojekt: Migrantische Arbeitswelten in Südtirol 

Dieses Projekt war als viersemestriges Euregio-Lehrforschungsprojekt (2014-16) der Universitäten Innsbruck und Bozen angelegt und untersuchte die alltäglichen Arbeits- und Lebensbedingungen von migrierenden Arbeitskräften in Südtirol. Ich beschäftigte mich dabei mit dem Prozess der Subalternisierung von migrierenden Pflegekräften und nahm dafür an Feldaufenthalten und Lehreinheiten in Bozen, Brixen und Innsbruck teil. Die Ergebnisse erschienen in Migrantische Arbeitswelten in Südtirol, Band 9 der bricolage. Innsbrucker Zeitschrift für Europäische Ethnologie. Mein Beitrag "Subalternisierung in der innerhäuslichen Pflege in Südtirol" thematisiert den Sektor der Rund-um-die-Uhr Pflege in sogenannten inhouse-Arrangements. In diesen Arbeitsverhältnissen sind zu einem überwiegenden Teil migrierende Frauen tätig. Ihre Lage ist prekär und gekennzeichnet von mehrfachen Abhängigkeiten. Die Tatsache, dass viele der Frauen in der 24-Stunden-Pflege physisch an ihren Arbeitsort gebunden sind, weil dieser Wohn- und Arbeitsplatz zugleich ist, schränkt ihren persönlichen Aktionsradius massiv ein. Zugleich erfordert der Teilarbeitsmarkt der innerhäuslichen Pflege in Südtirol erhöhte Bereitschaft zu Mobilität, die über die Migrationserfahrungen der Frauen hinausgeht. So wechseln sie mit ihrem Arbeitsplatz in den allermeisten Fällen auch ihren Wohnort, ihr ohnehin eingeschränktes soziales Umfeld und andere wichtige Bezugspunkte. In meiner ethnographischen Forschung zu den sozialen, politischen, ökonomischen und individuellen Dynamiken, in denen die pflegenden Frauen tätig sind, begreife ich diese Arbeitsverhältnisse als Subalternisierungsprozesse. Sie erschweren oder verunmöglichen soziale Teilhabe wie politische Organisation. 

Falls Sie Interesse an meiner Forschung oder einer Zusammenarbeit haben, dann schreiben Sie mir! Kontakt.